leises Lesen - lautes Lesen

Leseförderung durch leises Lesen

Ein wesentliches Prinzip des Konzeptes "Niemanden zurücklassen - Lesen macht stark" ist das leise Lesen. Jeder wird zum Selbstlesen angeleitet. Die anschließend Sozialform für die Anschlusskommunikation entscheidet die Lehrkraft. Lediglich die Aktivierung des Vorwissens vor dem Lesen und die Anschlusskommunikation können laut kommuniziert werden. ´Laut lesen können´ ist nicht gleichzusetzen mit sinnentnehmendem Lesevermögen.

Leises Lesen ermöglicht im Prozess der Texterschließung ein individuelles Lesetempo und die uneingeschränkte Konzentration auf das Leseverstehen. Es ist daher für eine erste individuelle Textbegegnung geeignet: Das Lesetempo orientiert sich am eigenen Texterschließungsprozess, Lesestrategien, wie z. B. das Zurückgehen im Text, Retardierung, Imagination oder Pausen, sind möglich. Spezifische Lesestrategien, wie z. B. das Überfliegen von Texten, Markieren oder die Ermittlung von Schlüsselwörtern erfordern das leise Lesen. Das leise Lesen hat nicht zuletzt seine Berechtigung als motivierendes individuelles Lesen ohne Anspruch an umfassendes Leseverstehen. Nicht zuletzt bietet sich nach dem leisen Lesen im Sinne einer diagnostischen Funktion das laute Denken an, um Lesestrategien oder Lesebremsen des Lesers zu erkennen.

Lesetechnik und Leseverstehen

Beim kompetenten Lesen zeigt sich Lesekompetenz nicht nur als Lesetechnik, sondern ganz wesentlich als Leseverstehen. Was heißt das für den Lesekompetenzerwerb im Unterricht? Dort haben beide Komponenten der Lesekompetenz ihre spezifische Funktion und Berechtigung. Welchen Stellenwert haben dabei lautes und leises Lesen? Wie können sie sinnvoll miteinander verbunden werden?

Lautes Lesen

Lautes Lesen eignet sich gut zur Überprüfung hörbarer Lesetechnik. Bei Defiziten in diesem Bereich muss gezielt daran gearbeitet werden, weil auch die Lesetechnik als eine von mehreren Ursachen für Schwierigkeiten im Bereich des Leseverstehens einzuordnen ist. Das laute Lesen erfüllt damit auch in diesem Zusammenhang eine wichtige diagnostische Funktion. Eine weitere, vor allem kommunikative Funktion erfüllt das laute Lesen im Vortrag von Texten. Ästhetische, technische und interpretatorische Aspekte wirken hierbei zusammen, sie machen einen lebendigen, adressatenbezogenen und angemessen gestalteten Vortrag aus. Im Mittelpunkt steht hier die Kompetenz eines gelungenen Vortrags. Eine ritualisierte Anschlusskommunikation eröffnet dann weitere Aspekte des Leseverstehens, auch die Bereitstellung und Nutzung unterschiedlicher weiterer Lesestrategien unterstützt die umfassende Erschließung des Textes – beim leisen wie beim lauten Lesen.

Leseverstehen

Sobald aber das Leseverstehen im Zentrum des Kompetenzerwerbs steht, ist das laute Lesen weniger geeignet, allenfalls als zusätzliche Form der Textbegegnung. Für die Überprüfung ist auch die Anschlusskommunikation eine gute Möglichkeit, um das Leseverstehen sichtbar zu machen, außerdem leistet sie im Vorwege einen wesentlichen Beitrag zur Entwicklung des Leseverstehens. Durch die Anschlusskommunikation werden vor allem die Motivation sowie die Konzentration auf den Inhalt gefördert. Darüber hinaus ermöglicht sie die Vielfalt individuell unterschiedlicher Textzugänge und -deutungen und die Erfahrung, sich der eigenen Positionen bewusst zu werden, sie zu vertiefen und zu sichern. Hierfür bieten sich Aufgaben auf der Ebene der drei Anforderungsbereiche an:

Wiedergeben, Zusammenhänge herstellen, Reflektieren und Bewerten  

Zur Anbahnung individuellen Leseverstehens sind sowohl während der Texterschließung als auch im Rahmen der Anschlusskommunikation Impulse bedeutsam, die einen eigenen Zugang zum Text anregen, einen Bezug zum Vorwissen herstellen oder Fragen an den Text ermöglichen.

(nach C. Frauen und F. Wietzke: lautes oder leises Lesen. Schulmanagement 2, 2008, S.26ff)