Verbindliche Lesezeit in der Sekundarstufe 1

Im Schuljahr 2024/25 wird eine Lesezeit in der Grundschule verbindlich: das Leseband.SH. Anknüpfend daran machen sich auch die Sekundarstufen auf den Weg. Viele Schulen haben bereits eine wöchentliche Lesestunde in den Stundenplan eingepflegt – das ist ein guter Anfang, aber  zu wenig. Die Lesezeit sollte auf mindestens 15-20 Minuten pro Tag erhöht werden. „Die Lesezeit im Unterricht pro Woche ist in Deutschland (an Grundschulen) mit durchschnittlich 141 Minuten gering im Vergleich zu den Werten der Vergleichsgruppen der EU (194 Minuten) und OECD (205 Minuten).“ (IGLU 2021)

Das Automatisieren des Lesens ist so wichtig, weil Lesen ein sehr komplexer Vorgang ist. Unser Gehirn hat kein Areal, in dem das Lesen entsteht – es ist eigentlich gar nicht dafür gemacht. Lesen besteht aus den Teilprozessen:

  • Buchstaben und Wörter dekodieren
  • Satzzeichen im Blick behalten
  • einzelne Informationen innerhalb eines Satzes zusammenführen
  • Zusammenhänge herstellen und den Inhalt erschließen

In der Sek 1 sollten dann noch weitere Teilprozesse hinzukommen:

  • sprachliche Mittel entschlüsseln (z.B. Metaphern und Symbole),
  • Textaufbau herausarbeiten (z.B. „Befinde ich mich in der Einleitung, im Hauptteil oder im Schluss des Textes?“)
  • Textsorten einordnen z.B. „ist das eine Satire oder ist das ernst gemeint?“)  
  • Quellen auf ihre Richtigkeit abwägen (z.B. Untersuchung auf Verlässlichkeit der Quelle und des Verfassers/der Verfasserin)

Was können wir vom Leseband.Sh der Grundschule über eine tägliche und verbindliche Lesezeit lernen?

Das Training führt zu einer Steigerung der Leseflüssigkeit, die wiederum zu einer Verbesserung des Leseverstehens beiträgt. Die Kompetenzsteigerungen sind bis zur Sekundarstufe I nachweisbar. Transfereffekte konnten für den Bereich Rechtschreibung und in Teilen für den Bereich Mathematik festgestellt werden. Positive Effekte zeigen sich besonders bei schwachen Leserinnen und Lesern. Expertinnen und Experten erklären inzwischen, dass eine freie Lesezeit viele Schülerinnen und Schüler überfordert. ("Leseflüssigkeit fördern", A. Gold und J. Küppers, Zeitschrift Pädagogik, 5/23). Es ist also sinnvoll für die Lerngruppe und auch für die ganze Schule ein Konzept zu erarbeiten, dass Wirksamkeit zeigt und sich sowohl bei den Lehrkräften als auch bei den Schülerinnen und Schülern motivierend auswirkt.

Warum ist das Lesen so wichtig?

Die Leseflüssigkeit bildet die Brücke zwischen dem Dekodieren und dem Verstehen des Textes. Erst wenn eine Schülerin oder ein Schüler flüssig lesen kann, wird sie oder er dazu in der Lage sein, einen Text zu verstehen. Je weniger Misserfolge eine Schülerin oder ein Schüler erfährt, desto mehr steigt das Selbstvertrauen in diese Kompetenz und die Lernenden wagen sich an schwierigere Fachtexte aus dem Unterricht aller Fächer heran. Lesen ist für alle Fächer der Schule wichtig, denn in fast jedem Fach wird gelesen. Die Bedeutung des Lesens für das Leben und die Teilhabe muss an dieser Stelle nicht weiter ausgeführt werden, sondern versteht sich von selbst.

Wie könnte eine verbindliche Lesezeit in der Sek. 1 aussehen?

Lesen muss eine alltägliche Erfahrung sein, weil sich erst dann Routine einstellt und das Lesen als etwas „Normales“ angesehen wird.
Die verbindliche Lesezeit sollte fest im Stundenplan verankert sein. Professor Gailberger sagt, dass Lesezeit nur dann effektiv ist, wenn sie „kontinuierlich, hochfrequent und über einen längeren Zeitraum“ installiert ist. Je nach Alter und Konzentrationsfähigkeit der Schülerinnen und Schüler sollte zwischen 20-30 Minuten gelesen werden. Damit nicht immer nur die gleichen Fächer betroffen sind, kann eine reine Lesezeit, die nicht zu Lasten der Fachunterrichtszeit fällt, installiert werden. Die Lesezeit kann mit der Schulglocke ein- und ausgeläutet werden, damit alle an sie erinnert werden.

Die Schulleitung, muss das Konzept steuern. Das Kollegium sollte es mittragen und gestalten. Der Fachunterricht verliert zwar etwas Unterrichtszeit, diese sollte jedoch als Investment gesehen werden  – wenn die Kinder besser lesen können, werden sie im Fachunterricht besser mitarbeiten, Texte werden schneller gelesen und deren Sinn schneller erfasst werden. Geeignete Fortbildungen, um die Lesezeit zu etablieren finden Sie hier: https://nzl.lernnetz.de/lmssek-fortbildung-termine.html.

Alle gucken ins Buch, aber keiner liest - Methoden einer Lesezeit für die Sek 1

Lesekompetenz steigernde Methoden sind:

 

In der Lesezeit können diese unterschiedlichen Methoden verwendet werden. Diese sollten im Klassenteam besprochen und täglich in einem Leseprotokoll festgehalten werden, damit die nächste Lehrkraft weiß, was und wie gelesen wurde.

Für die Umsetzung der Lesezeit ist die eingesetzte Lehrkraft verantwortlich. Sie kann die Methode und den Text bestimmen oder dies einem Zufallsgenerator (z.B. https://puzzel.org/de/wheel-of-fortune/play?p=-O8GX6Q9gcyWr7OCuJC7 ) überlassen. Die Lehrkraft muss wissen, welche Methoden für welchen Text geeignet sind. Sie kann einen Text aus ihrem Fach wählen und diesen nach geeigneten Methoden lesen lassen.

Lautleseverfahren haben einen großen Einfluss auf das Lesen auf der Silbenebene, der morphologischen Ebene, der Wort- und Satzebene. Sie steigern die Lesemotivation. Zu ihnen gehören das Chorische Lesen, das Tandemlesen, das Lesen mit Hörbüchern und das Vorlesetheater. Diese Methoden kennen viele Schülerinnen und Schüler bereits aus der Grundschule. Sie haben sich bewährt und können auch in den Jahrgangsstufen 5 und 6  verwendet werden.

In der Sek. 1 finden auch Leiselesen-Methoden ihre Berechtigung. Hier sollten Lesestrategien eingeübt und trainiert werden (Vor, während, nach dem Lesen/ Ich habe gelesen, dass…).
Auch Methoden zum Selbstkonzept (sich als Leser/in erfahren, Lesebiografien, über das Gelesene sprechen) haben hier ihren Platz. Dann wird nicht nur das Lesen geübt, sondern auch die sozial-emotionale Kompetenz gefördert.

Auch Methoden, die über das Lesen von Texten hinausgehen, sollten implementiert werden. Zum Beispiel das Recherchieren im Internet oder das Überprüfen von Fakenews und Artikelquellen.